O holder Tag, erwünschte Zeit
BWV 210 // zur Hochzeitsfeier
für Sopran, Traversflöte, Oboe d’amore, Streicher und Basso continuo
Ihre durchaus verwickelte und erst neuerdings von Michael Maul mit einer plausiblen «Berliner Spur» geklärte Entstehungsgeschichte hört man Bachs gleichermassen charmanter wie tiefsinniger Hochzeitskomposition «O holder Tag, erwünschte Zeit» jedenfalls nicht an. Insbesondere die vom Libretto und seiner kongenialen Vertonung ausgekosteten Fragen nach der für den Ehestand am besten zuträglichen Musik und sogar Instrumentierung verwandeln jahrhundertealte Moraldebatten in ein augenzwinkerndes Spiel der Klänge und Andeutungen. Bachs ausgedehnte Solokantate war schon 1741 und ist noch heute mit ihren anspruchsvollen Partien und phantasievoll ausgereizten Formkonstellationen ein Stück für Kennerinnen und Kenner des Lebens, der Liebe und natürlich der musikalischen Kunst.
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Werkeinführung
Reflexion
Solisten
Sopran
Marie Luise Werneburg
Orchester
Leitung & Cembalo
Rudolf Lutz
Violine
Éva Borhi, Péter Barczi
Viola
Martina Bischof
Violoncello
Daniel Rosin
Violone
Markus Bernhard
Traversflöte
Marc Hantaï
Oboe d’amore
Andreas Helm
Musikal. Leitung & Dirigent
Rudolf Lutz
Werkeinführung
Mitwirkende
Rudolf Lutz, Pfr. Niklaus Peter
Reflexion
Referent
Jürg Kienberger
Aufnahme & Bearbeitung
Aufnahmedatum
23.06.2023
Aufnahmeort
Rorschach (SG) // Würth Haus Rorschach, Carmen Würth Saal
Tonmeister
Stefan Ritzenthaler
Regie
Meinrad Keel
Produktionsleitung
Johannes Widmer
Produktion
GALLUS MEDIA AG, Schweiz
Produzentin
J.S. Bach-Stiftung, St. Gallen, Schweiz
Textdichter
Erste Aufführung
Wahrscheinlich 19. September 1741 in Berlin
Textdichter
Textdichter unbekannt
Text des Werks und musikalisch-theologische Anmerkungen
1. Rezitativ — Sopran
O holder Tag, erwünschte Zeit,
willkommen, frohe Stunden!
Ihr bringt ein Fest, das uns erfreut.
Weg, Schwermut, weg! weg, Traurigkeit!
Der Himmel, welcher vor uns wachet,
hat euch zu unsrer Lust gemachet:
Drum lasst uns fröhlich sein!
Wir sind von Gott darzu verbunden,
uns mit den Frohen zu erfreun.
1./2.
Das Rezitativ konzentriert sich zuerst auf den Wortkern von Hochzeit: Die hohe, festliche Zeit soll besungen, frohe Stunden begrüsst werden, welche alle Traurigkeit vertreiben, denn Menschen sind «von Gott darzu verbunden», sich «mit den Frohen zu erfreun». Beigefügte Streicher hüllen die Singstimme in ein tönendes Hochzeitsgewand. Ob in der Arie wegen festlicher Ohnmachtsanfälle auf notwendige Riechfläschchen angespielt wird? Nein, denn «der Saiten Lust» verspricht baldige Erholung. Die mit den Streichern laufende Liebesoboe verleiht dem fliessenden Dreiertakt einen warm melodischen Kern, während die Sopranpartie die dem Anlass geschuldete Spannung zwischen Bangen und Hoffen auskostet.
2. Arie — Sopran
Spielet, ihr beseelten Lieder,
werfet die entzückte Brust
in die Ohnmacht sanfte nieder!
Aber durch der Saiten Lust
stärket und erholt sie wieder!
3. Rezitativ — Sopran
Doch, haltet ein,
ihr muntern Saiten;
denn bei verliebten Eheleuten
soll‘s stille sein.
Ihr harmoniert nicht mit der Liebe;
denn eure angebornen Triebe
verleiten uns zur Eitelkeit,
und dieses schickt sich nicht zur Zeit.
Ein frommes Ehepaar
will lieber zu dem Dankaltar
mit dem Gemüte treten
und ein beseeltes Abba beten;
es ist vielmehr im Geist bemüht
und dichtet in der Brust ein angenehmes Lied.
3./4.
Nun mahnt das Rezitativ die «muntern Saiten» einzuhalten, das «fromme Ehepaar» zur Stille anzuleiten, damit es mit Andacht und Gebet (beseeltes Abba – ein «Vaterunser»?) zum Altar treten kann. Nachfolgend wird die Musik angesprochen, die «matten Töne» sollen ruhen, denn die «wahre Panacee» (Allheilmittel) für Ehen liege nicht in deren «zarter Harmonie». Dagegen scheint die konsonante Linienführung sämtlicher Stimmen im Siciliano-Duktus einer Pastorale den Himmel auf Erden zu beschwören, wobei das entrückte E-Dur sowie Anklänge der Trauerode BWV 198 auch Assoziationen der Weltüberwindung zulassen.
4. Arie — Sopran
Ruhet hie, matte Töne,
matte Töne, ruhet hie!
Eure zarte Harmonie
ist vor die beglückte Eh‘
nicht die wahre Panacee.
5. Rezitativ — Sopran
So glaubt man denn, dass die Musik verführe
und gar nicht mit der Liebe harmoniere?
O nein! Wer wollte denn nicht ihren Wert betrachten,
auf den so hohe Gönner achten?
Gewiss, die gütige Natur
zieht uns von ihr auf eine höhre Spur.
Sie ist der Liebe gleich, ein großes Himmelskind,
nur, dass sie nicht, als wie die Liebe, blind;
sie schleicht in alle Herzen ein
und kann bei Hoh‘ und Niedern sein.
Sie lockt den Sinn
zum Himmel hin
und kann verliebten Seelen
des Höchsten Ruhm erzählen.
Ja, heißt die Liebe sonst weit stärker als der Tod,
wer leugnet? Die Musik stärkt uns in Todes Not.
O wundervolles Spiel!
Dich, dich verehrt man viel.
Doch, was erklingt dort vor ein Klagelied,
das den geschwinden Ton beliebter Saiten flieht?
5./6.
Die Musik harmoniere, verteidigt das Rezitativ, sehr wohl mit der Liebe, ziehe «auf eine höhre Spur», sei ein «Himmelskind», mache jedoch nicht blind, sondern locke «den Sinn zum Himmel hin». Und wenn die Liebe «stärker als der Tod» (Hld. 8, 6) ist, so stärke Musik uns in der Todesnot. Doch weshalb nun ein Klagelied? Tatsächlich werden alle Flöten zum Schweigen aufgerufen, «denn ihr klingt dem Neid nicht schöne», sie sollen durch die geschwärzte (Kerzen-)Luft eilen, bis man sie «zu Grabe ruft!». Absteigende Linien, abreissende Motive und echoartig verhallende Gesten rufen ein Bild blasser Vergänglichkeit hervor, das in gewolltem Gegensatz zur betörenden Schönheit der Kantilenen steht, die sich nicht ins verordnete «Schweigen» schicken wollen.
6. Arie — Sopran
Schweigt, ihr Flöten, schweigt, ihr Töne,
denn ihr klingt dem Neid nicht schöne,
eilt durch die geschwärzte Luft,
bis man euch zu Grabe ruft!
7. Rezitativ — Sopran
Was Luft? Was Grab?
Soll die Musik verderben,
die uns so großen Nutzen gab?
Soll so ein Himmelskind ersterben,
und zwar für eine Höllenbrut?
O nein!
Das kann nicht sein.
Drum auf, erfrische deinen Mut!
Die Liebe kann vergnügte Saiten
gar wohl vor ihrem Throne leiden.
Indessen lass dich nur den blassen Neid verlachen,
was wird sich dein Gesang aus Satans Kindern
machen?
Genug, dass dich der Himmel schützt,
wenn sich ein Feind auf dich erhitzt.
Getrost, es leben noch Patronen,
die gern bei deiner Anmut wohnen.
Und einen solchen Mäzenat
sollst du auch itzo in der Tat
an seinem Hochzeitfest verehren.
Wohlan, lass deine Stimme hören!
7./8.
Heftig widerspricht das Rezitativ: «Was Luft? Was Grab?» – soll die so nützliche und himmlische Musik verderben? Das darf nicht sein, «die Liebe kann vergnügte Saiten gar wohl vor ihrem Throne leiden». Der Himmel möge die Musik schützen. Es leben Patronen und ein Mäzen, deshalb solle die Musik ihre Stimme hören lassen. In der Arie wird der Gönner direkt angesprochen, er verehre die Kunst der Musik, unter seinen «Weisheitsschätzen» könne ihn nichts so sehr ergötzen wie «süsse Töne». Bach verleitet diese Apotheose der Musik nicht zu triumphalen Tönen, sondern er kostet im verinnerlicht schreitenden Idiom einer stilisierten Polonaise deren erquickende Süsse aus.
8. Arie — Sopran
Großer Gönner, dein Vergnügen
muss auch unsern Klang besiegen,
denn du verehrst uns deine Gunst.
Unter deinen Weisheitsschätzen
kann dich nichts so sehr ergötzen
als der süßen Töne Kunst.
9. Rezitativ — Sopran
Hochteurer Mann, so fahre ferner fort,
der edlen Harmonie wie itzt geneigt zu bleiben;
so wird sie dir dereinst die Traurigkeit vertreiben.
So wird an manchem Ort
dein wohlverdientes Lob erschallen,
dein Ruhm wird wie ein Demantstein,
ja wie ein fester Stahl beständig sein,
bis dass er in der ganzen Welt erklinge.
Indessen gönne mir,
dass ich bei deiner Hochzeit Freude
ein wünschend Opfer zubereite
und nach Gebühr
dein künftig Glück und Wohl besinge.
9./10.
Der Sopran ermuntert den «hochteuren Mann», der Musik geneigt zu bleiben, so werde sein Lob erschallen, sein Ruhm beständig wie Diamant und «fester Stahl» sein (Anspielung auf des Bräutigams Namen), und besingt sein «künftig Glück und Wohl». Bachs Accompagnato mit obligaten Holzbläsern changiert zwischen passionsähnlichem fahlem Duktus und sinnlich leuchtenden Klangfarben. In der Schlussarie wird nun die Braut mitangesprochen: «Seid beglückt, edle beide», beständige Lust möge das Paar erfüllen – bis zur Erquickung bei der endzeitlichen «Hochzeit des Lammes». Der quirlige Kehraus befreit auch die Musik von (fast) allen Banden grübelnder Reflexion.
10. Arie — Sopran
Seid beglückt, edle Beide,
edle Beide, seid beglückt!
Beständige Lust
erfülle die Wohnung, vergnüge die Brust,
bis dass euch die Hochzeit des Lammes erquickt.