Tönet, ihr Pauken, erschallet, Trompeten
BWV 214 // Weltliche Huldingungsmusik
für Sopran, Alt, Tenor und Bass Traverso I+II, Oboe I+II, Tromba I–III, Pauke, Streicher und Basso Continuo
«Jauchzet, frohlocket!»: Kaum ein Satzbeginn Bachs wirkt so unmittelbar vertraut wie die ersten Takte dieses durch das «Weihnachtsoratorium» berühmt gewordenen Eingangschores. Dabei überdeckt Picanders geschickte Umdichtung eigentlich die bestechende innere Logik, die den Originaltext als klingenden Führer durch das barocke Festorchester profiliert: «Tönet, ihr Pauken, erschallet, Trompeten, klingende Saiten, erfüllet die Luft!» Mit diesem Ausbund wuchtiger Fröhlichkeit beginnt eine Kantate, deren unverkennbar militärische Attitüde viel mit den waffenklirrenden Zeitläuften ihrer Entstehung zu tun hat.
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Werkeinführung
Reflexion
Bonusmaterial
Solisten
Sopran
Johannette Zomer
Alt/Altus
Michaela Selinger
Tenor
Johannes Kaleschke
Bass
Klaus Mertens
Orchester
Leitung
Rudolf Lutz
Violine
Renate Steinmann, Monika Baer, Yuko Ishikawa, Elisabeth Kohler, Ildikó Sajgó, Anita Zeller, Salome Zimmermann
Viola
Susanna Hefti, Florian Mohr, Martina Zimmermann
Violoncello
Martin Zeller, Bettina Messerschmidt
Violone
Markus Bernhard
Oboe
Thomas Meraner, Ingo Müller
Oboe d’amore
Thomas Meraner
Fagott
Susann Landert
Trompete/Tromba
Patrick Henrichs, Peter Hasel, Pavel Janecek
Flauto Traverso/Traversflöte
Claire Genewein, Tomoko Mukoyama
Timpani/Pauke
Martin Homann
Cembalo
Thomas Leininger
Musikal. Leitung & Dirigent
Rudolf Lutz
Werkeinführung
Mitwirkende
Anselm Hartinger, Rudolf Lutz
Reflexion
Referent
Thomas Rosenloecher
Aufnahme & Bearbeitung
Aufnahmedatum
14.08.2015
Aufnahmeort
Rorschach SG (Schweiz)
Tonmeister
Stefan Ritzenthaler
Regie
Meinrad Keel
Produktionsleitung
Johannes Widmer
Produktion
GALLUS MEDIA AG, Schweiz
Produzentin
J.S. Bach-Stiftung, St. Gallen, Schweiz
Textdichter
Textdichter Nr. 1
Unbekannt (evtl. Christian F. Henrici, genannt Picander)
Erste Aufführung
8. Dezember 1733, Leipzig
Vertiefte Auseinandersetzung mit dem Werk
«Jauchzet, frohlocket!»: Kaum ein Satzbeginn Bachs wirkt so unmittelbar vertraut wie die ersten Takte dieses durch das «Weihnachtsoratorium» berühmt gewordenen Eingangschores. Dabei überdeckt Picanders geschickte Umdichtung eigentlich die bestechende innere Logik, die den Originaltext als klingenden Führer durch das barocke Festorchester profiliert: «Tönet, ihr Pauken, erschallet, Trompeten, klingende Saiten, erfüllet die Luft!» Mit diesem Ausbund wuchtiger Fröhlichkeit beginnt eine Kantate, deren unverkennbar militärische Attitüde viel mit den waffenklirrenden Zeitläuften ihrer Entstehung zu tun hat. Nach dem Tode Augusts des Starken am 1. Februar 1733 musste sein Sohn und Nachfolger in Sachsen, Kurfürst Friedrich August II., erst gegen den mächtigen Gegenkönig Stanislaus Lesczynski um seinen polnischen Thron kämpfen. Der Krönungszug, zu dem Friedrich August und seine Gemahlin Erzherzogin Maria Josepha im Januar 1734 gen Krakau aufbrachen, war deshalb keine beschwingte Huldigungsreise, sondern ein sicherheitshalber auf getrennten Wegen absolvierter militärischer Streifzug voller Risiken und nächtlicher Scharmützel. Das «knallende Metall» und die abgefeuerten Geschütze der Kantate waren damit für die neue Königin keine blossen Metaphern, sondern reale Gefahren, deren Meisterung durch Beschwörung ihrer kaiserlichen Abkunft und ihrer angeborenen heroischen Tugenden gleichsam herbeigeschrieben wurde.
Am 8. Dezember 1733 anlässlich des Geburtstages Maria Josephas in Leipzig uraufgeführt, lebt die Partitur der Kantate von der Spannung zwischen stolzem Jubel, friedfertiger Apologetik und trotzigem Beharren in Not und Schlachtenlärm. Passend dazu arbeitet das Libretto mit den kontrastreichen allegorischen Figuren der Fama, Bellona und Irene. So muss sich die im Rezitativ Nr. 2 beschworene Festfreude umgehend gegen stürmische Gewittergesten behaupten, während die dank der Traversflöten klanglich zarte Sopranarie «Blast die wohlgegriffnen Flöten!» sich eines auf die Militärpfeifen verweisenden kantigen Tonfalls kaum erwehren kann. Die etwas kryptischen «Lilien» und «Mond» verweisen im Kontext der Abrechnung mit äusseren «Feinden» offenbar auf die Wappenzeichen der französischen Bourbonen und des türkischen Sultans als Unterstützer des Rivalen Leszcynski, denen das kämpferische Rezitativ Nr. 4 das «schimmernde Gewehr» der trotz konfessioneller Differenzen einig hinter ihrem Herrscherhaus versammelten Sachsen entgegensetzt.
Umso wirksamer ist nach dieser Schlachtenrhetorik die verinnerlichte Wendung der Altarie. Begleitet vom anschmiegsamen Tonfall der Oboe d‘amore fordert passenderweise Pallas Athene als Schutzherrin der Künste und Wissenschaften die versammelten Musen auf, mit noch nicht «längst bekannten Liedern» und «Schriften» der Jubilarin Ehre zu erweisen. Im Sinne eines Fürstenspiegels entsprach dies der Mahnung an die Regentin, neben dem Kriegshandwerk auch die Künste zu fördern; zugleich brachten damit hörbar zwei bisher noch nicht bei Hofe saturierte Künstler ihre ergebenen Dienste in Erinnerung. In diesem Sinne stellt das von einem feierlichen Streichersatz begleitete Rezitativ Nr. 6 mehr die hoffnungsvolle Evokation eines kommenden freigiebigen Musenhofes als eine Beschreibung bisher erfahrener Wohltaten dar.
Wiederum vor allem bekannt dank seines Weihnachtstextes «Grosser Herr, o starker König», erweist sich die Bravourarie «Kron und Preis gekrönter Damen» für Bass, Trompete und Streicher als geniale Verknüpfung von kurzgliedrig-eingängiger Melodik mit einem weiten Spannungsbogen, der hier «den ganzen Kreis der Welt» zu füllen vermag. Unter Zuhilfenahme geschraubter geographisch-astronomischer Analogien greift das Bassrezitativ der Fama diesen heroischen Gestus auf, bevor ein überraschend eingedunkelter Satzschluss glaubhaft die Bitte um ein langes Leben der Königin zum Ausdruck bringt.
Der volltönende Tutti-Schlusschor, zu dem sich die allegorischen Personen mit ihren jeweiligen Segenswünschen zusammenfinden, gehört mit seinen zwei strukturell analogen Textdurchläufen zu Bachs schlagkräftigsten Erfindungen – hier empfahl sich zweifellos ein ambitionierter Meisterkomponist auf der stilistischen Höhe der Zeit für neue Aufgaben. Die gegenüber dem meist chorisch ausgeführten Weihnachtsoratorium beim Hören zunächst überraschende solistische Darbietungsform verleiht der weltlichen Huldigungskantate gerade hier eine elegante und die Sphäre der höfischen Serenaden und Opern mehr als nur streifende Diktion.
Text des Werks und musikalisch-theologische Anmerkungen
Spätestens 1730 scheint Johann Sebastian Bach alle Hoffnung verloren zu haben, dass der Leipziger Rat seine künstlerische Leistung nach Gebühr würdigen und ihm die für seine Arbeit «höchstnöthigen» musikalischen Kräfte und Mitgestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen würde. Daher richtete sich sein Blick stärker nach Dresden, von dessen kunstliebendem Hof er sich einen Kapellmeistertitel und juristische Rückendeckung in seinen Streitigkeiten mit der örtlichen Obrigkeit erwartete. Daher nutzte er den Umstand, das vor allem zu den drei Leipziger Messen häufig Angehörige der kurfürstlichsächsischen und in Personalunion auch königlich-polnischen Herrscherfamilie in Leipzig weilten, um sich mit aufwendig vorbereiteten Huldigungsmusiken an höchster Stelle in Erinnerung zu bringen. Der Geburtstag der neuen Kurfürstin-Königin Maria Josepha, die als Tochter von Kaiser JosephI. zum europäischen Hochadel gehörte, bildete am 8.Dezember 1733 den Anlass, mit Hilfe des von Bach 1729 übernommenen studentischen Collegium musicum eine grossbesetzte Glückwunschkantate darzubieten, deren Sätze in der für ein solches Dramma per musica typischen Weise auf die allegorischen Personen Irene (Frieden), Fama (Ruhm), Bellona (Kriegskunst) und Pallas (Athene, die Patronin der Künste und Wissenschaften) aufgeteilt sind. Während die Textgrundlage nicht immer das Niveau panegyrischer Gebrauchslyrik übersteigt, muss Bach mit der in aller Eile fertiggestellten Komposition so zufrieden gewesen sein, dass er mehrere Sätze daraus zum Jahreswechsel 1734/35 mit neuem Wortlaut in sein sechsteiliges Weihnachtsoratorium übernahm.
1. Chor
Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!
Klingende Saiten, erfüllet die Luft!
Singet itzt Lieder, ihr muntren Poeten,
Königin lebe! wird fröhlich geruft.
Königin lebe! dies wünschet der Sachse,
Königin lebe und blühe und wachse!
1. Chor
Mit Pauken und Trompeten sowie rauschenden Orchesterklängen hebt dieser Chor an, dessen Instrumenteneinsätze der Aufzählung des Textes folgen – eine Satzkonzeption von bestechender Logik, die in ihrer berühmteren Weihnachtsversion («Jauchzet, frohlocket») trotz der gelungenen Neutextierung etwas verlorengeht. Wie Bach die vibrierende orchestrale Energie mit einem souverän-ruhigen Fluss der Chorstimmen verbindet, vereint Kunst und Huldigung auf höchstem Niveau. Der in h-Moll anhebende Mittelteil fungiert als verinnerlichter Ruhepunkt mit innerer Steigerungsdynamik.
2. Rezitativ (Tenor; Irene)
Heut ist der Tag,
wo jeder sich erfreuen mag.
Dies ist der frohe Glanz
der Königin Geburtsfests-Stunden,
die Polen, Sachsen und uns ganz
in größter Lust und Glück erfunden.
Mein Ölbaum
kriegt so Saft als fetten Raum.
Er zeigt noch keine falbe Blätter;
mich schreckt kein Sturm, Blitz,
trübe Wolken, düstres Wetter.
2. Rezitativ
Ob es eine kluge poetische Idee war, im eisigen sächsischen Dezember von in vollem Saft stehenden Ölbäumen zu fabulieren, sei dahingestellt. Bach vertonte diesen etwas gestelzten Text mit routinierter Sprachdeklamation und bildhafter Generalbass-Dramatik («Sturm, Blitz, trübe Wolken, düsters Wetter»).
3. Arie (Sopran; Bellona)
Blast die wohlgegriffnen Flöten,
daß Feind, Lilien, Mond erröten,
schallt mit jauchzendem Gesang!
Tönt mit eurem Waffenklang!
Dieses Fest erfordert Freuden,
die so Geist als Sinnen weiden.
3. Arie
Zwei Traversflöten sorgen im wiegenden Dreiertakt und leuchtenden A-Dur für ein scheinbar unbeschwertes Idyll. Im Kontext der kriegerischen Solopartie erweist sich dieser naive Tonfall jedoch auch als Anspielung auf die in Schlachten und paraden unerschrockenen Querpfeiffer der Militärkapellen.
4. Rezitativ (Sopran; Bellona)
Mein knallendes Metall
der in der Luft erbebenden Kartaunen,
der frohe Schall;
das angenehme Schauen;
die Lust, die Sachsen itzt empfindt,
rührt vieler Menschen Sinnen.
Mein schimmerndes Gewehr
nebst meiner Söhne gleichen Schritten
und ihre heldenmäßge Sitten
vermehren immer mehr und mehr
des heutgen Tages süße Freude.
Am 8. Dezember 1733 anlässlich des Geburtstages Maria Josephas in Leipzig uraufgeführt, lebt die Partitur der Kantate von der Spannung zwischen stolzem Jubel, friedfertiger Apologetik und trotzigem Beharren in Not und Schlachtenlärm. Passend dazu arbeitet das Libretto mit den kontrastreichen allegorischen Figuren der Fama, Bellona und Irene. So muss sich die im Rezitativ Nr. 2 beschworene Festfreude umgehend gegen stürmische Gewittergesten behaupten, während die dank der Traversflöten klanglich zarte Sopranarie «Blast die wohlgegriffnen Flöten!» sich eines auf die Militärpfeifen verweisenden kantigen Tonfalls kaum erwehren kann. Die etwas kryptischen «Lilien» und «Mond» verweisen im Kontext der Abrechnung mit äusseren «Feinden» offenbar auf die Wappenzeichen der französischen Bourbonen und des türkischen Sultans als Unterstützer des Rivalen Leszcynski, denen das kämpferische Rezitativ Nr. 4 das «schimmernde Gewehr» der trotz konfessioneller Differenzen einig hinter ihrem Herrscherhaus versammelten Sachsen entgegensetzt.
Umso wirksamer ist nach dieser Schlachtenrhetorik die verinnerlichte Wendung der Altarie. Begleitet vom anschmiegsamen Tonfall der Oboe d‘amore fordert passenderweise Pallas Athene als Schutzherrin der Künste und Wissenschaften die versammelten Musen auf, mit noch nicht «längst bekannten Liedern» und «Schriften» der Jubilarin Ehre zu erweisen. Im Sinne eines Fürstenspiegels entsprach dies der Mahnung an die Regentin, neben dem Kriegshandwerk auch die Künste zu fördern; zugleich brachten damit hörbar zwei bisher noch nicht bei Hofe saturierte Künstler ihre ergebenen Dienste in Erinnerung. In diesem Sinne stellt das von einem feierlichen Streichersatz begleitete Rezitativ Nr. 6 mehr die hoffnungsvolle Evokation eines kommenden freigiebigen Musenhofes als eine Beschreibung bisher erfahrener Wohltaten dar.
Wiederum vor allem bekannt dank seines Weihnachtstextes «Grosser Herr, o starker König», erweist sich die Bravourarie «Kron und Preis gekrönter Damen» für Bass, Trompete und Streicher als geniale Verknüpfung von kurzgliedrig-eingängiger Melodik mit einem weiten Spannungsbogen, der hier «den ganzen Kreis der Welt» zu füllen vermag. Unter Zuhilfenahme geschraubter geographisch-astronomischer Analogien greift das Bassrezitativ der Fama diesen heroischen Gestus auf, bevor ein überraschend eingedunkelter Satzschluss glaubhaft die Bitte um ein langes Leben der Königin zum Ausdruck bringt.
Der volltönende Tutti-Schlusschor, zu dem sich die allegorischen Personen mit ihren jeweiligen Segenswünschen zusammenfinden, gehört mit seinen zwei strukturell analogen Textdurchläufen zu Bachs schlagkräftigsten Erfindungen – hier empfahl sich zweifellos ein ambitionierter Meisterkomponist auf der stilistischen Höhe der Zeit für neue Aufgaben. Die gegenüber dem meist chorisch ausgeführten Weihnachtsoratorium beim Hören zunächst überraschende solistische Darbietungsform verleiht der weltlichen Huldigungskantate gerade hier eine elegante und die Sphäre der höfischen Serenaden und Opern mehr als nur streifende Diktion.
5. Arie (Alt; Pallas)
Fromme Musen! meine Glieder!
singt nicht längst bekannte Lieder!
Dieser Tag sei eure Lust!
Füllt mit Freuden eure Brust!
Werft so Kiel als Schriften nieder
und erfreut euch dreimal wieder!
5. Arie
Wiederum in h-Moll beginnt die Arie der Pallas, die in den Bereich der schönen Künste und ihrer Förderung überleitet und damit nicht nur einen weiteren Aspekt der Fürstenidentität anspricht, sondern auch das persönliche Anliegen von Texter und Komponist thematisiert, mit noch nicht «längst bekannten Liedern» die Jubilarin zu erfreuen. Was die Aufforderung zum «Niederwerfen von Kiel und Schriften» bedeuten soll, wird allerdings nicht deutlich und dürfte in der Aufführungssituation untergegangen sein. In der Umarbeitung zur «Hirtenarie» des Weihnachtsoratorium ersetzte Bach die fürsorglich-sanfte Oboe d’amore passend durch die pastoralere Traversflöte.
6. Rezitativ (Alt; Pallas)
Unsre Königin im Lande,
die der Himmel zu uns sandte,
ist der Musen Trost und Schutz.
Meine Pierinnen wissen,
die in Ehrfurcht ihren Saum noch küssen,
vor ihr stetes Wohlergehn
Dank und Pflicht und Ton stets zu erhöhn.
Ja, sie wünschen, daß ihr Leben
möge lange Lust uns geben.
6. Rezitativ
Hier wird die neue Königin, die wie ihr tatenarmer Mann erst noch in langen diplomatischen Kämpfen das beanspruchte polnische Wahlreich sichern musste, als vom Himmel gesandtes Geschenk angesprochen. Entsprechend setzt Bach diesen Text als streicherbegleitetes feierliches Accompagnato mit der einem Geburtstag angemessenen Bitte um ein langes Leben.
7. Arie (Bass; Fama)
Kron und Preis gekrönter Damen,
Königin! mit deinem Namen
füll ich diesen Kreis der Welt.
Was der Tugend stets gefällt,
und was nur Heldinnen haben,
sein dir angeborne Gaben.
und erfreut euch dreimal wieder!
7. Arie
«Grosser Herr, und starker König» – «Kron und Preis gekrönter Damen»: Selten lässt sich an einem einzigen Stück die Austauchbarkeit barocker Affektwelten und Standesattribute so plausibel machen wie in dieser vom heroisch-kantablen Trompetenklang geprägten Bassarie. Es ist in beiden Fällen ein hehrer Name von himmelhoher Unerreichbarkeit, der hier vor dem ganzen Weltkreis gepriesen wird.
8. Rezitativ (Bass; Fama)
So dringe in das weite Erdenrund
mein von der Königin erfüllter Mund!
Ihr Ruhm soll bis zum Axen
des schön gestirnten Himmels wachsen,
die Königin der Sachsen und der Polen
sei stets des Himmels Schutz empfohlen.
So stärkt durch sie der Pol
so vieler Untertanen längst erwünschtes Wohl.
So soll die Königin noch lange
bei uns hier verweilen
und spät, ach! spät zum Sternen eilen.
8. Rezitativ
Nachdem Komponist und Musiker ihre Eignung zum tönenden Lob unter Beweis stellen konnten, bringt sich nun mit seinem «von der Königin erfüllten Mund» der Dichter in Erinnerung, der hier die mythischen Flüsse des Altertums und die Pole der bewohnten Welt in seine Panegyrik einbezieht. Mit einem aparten Mischklang aus Unisono-Flöten und Oboen hebt Bach dieses Accompagnato wirkungsvoll vom vorhergehenden Satzpaar ab.
9. Chor
Irene:
Blühet, ihr Linden in Sachsen, wie Zedern!
Bellona:
Schallet mit Waffen und Wagen und Rädern!
Pallas:
Singet, ihr Musen, mit völligem Klang!
Alle:
Fröhliche Stunden, ihr freudigen Zeiten!
gönnt uns noch öfters die güldenen Freuden:
Königin, lebe, ja lebe noch lang!
9. Chor
Ein veritabler Kehraus im trompetenglänzenden D-Dur, der sämtliche Protagonisten mit ihren Attributen vereint: Die friedliche Irene lässt die Linden blühen, Bellona die Waffen schallen und Pallas versammelt die Musen zum «völligen Klang», bevor die für den Nachruhm verantwortliche Fama die «fröhlichen Stunden und freudigen Zeiten» beschwört, in deren Lobpreis Singstimmen und ganzes Orchester einfallen. Bach beweist in der kunsthaften Einprägsamkeit dieses Satzes erhebliches Geschick in der Konzeption repräsentativer Musiken. Hier empfahl sich eindeutig ein gewesener Köthener Hofkapellmeister für neue höhere Aufgaben; dass in der Parodiefassung des Weihnachtsoratoriums dieser grandiose weltliche Aufputz als blosses «Lallen» und «matte Gesänge» in den Ohren des himmlischen Herrschers bezeichnet wird, entbehrt nicht der deutenden Ironie.
Thomas Rosenlöcher
«Blühet ihr Linden in Sachsen, wie Zedern!»
Wie die Kantate «Tönet ihr Pauken! Erschalltet Trompeten» entstand.
Vortrag vor den geneigten Ohren der Bach-Stiftung zu St.Gallen
Nein, als Bachspezialist kann ich mich nicht bezeichnen. Meine musikalische Aufführungspraxis beschränkt sich auf das Vor-mich-hin-Pfeifen einiger bekannterer Stellen: «Jauchzet, frohlocket» etc. Aber auch ohne eigenes Zutun ist Bach heute ja eher häufig zu hören. Hörte Bach, wie oft Bach gespielt wird, er wäre gewiss verwundert, ja vielleicht sogar entsetzt. Eigenes Pfeifen nicht mitgerechnet, habe ich Bach wohl schon öfter gehört, als Bach selber Bach gehört hat. Und halte mich nun sogar für prädestiniert, im Hinblick auf die Textgestalt von Kantate BWV 214 «Tönet ihr Pauken! Erschalltet Trompeten» hier noch einige gewiss unbekannte Einzelheiten hinzuzufügen. – Bekanntlich hat Bach, der laut Brief an Erdmann, zu Leipzig «eine wunderliche und der Music wenig ergebene Obrigkeit» vorfand und «mithin fast in stetem Verdruss, Neid und Verfolgung» leben musste, sich 1733, nach August des Starken Tod, bei dessen gleichfalls der Kunst zugetanen und nicht umsonst in der Oper verstorbenen Nachfolger August dem III., um das «Praedicat von Dero Hoff-Capelle» beworben; um den Titel eines «Königl. Polnischen Churfürtstl. Sächsischen Hof-Compositeurs» also, der ihm – drei Jahre hernach verliehen – «Verdruss, Neid und Verfolgung» allerdings auch nicht ersparen wird. Seiner Bitte Nachdruck zu verleihen, führte Bach etliche Huldigungskantaten auf; darunter noch im selben Jahr jene, der neuen Landesfürstin Maria Josepha gewidmete Geburtstagskantate, in deren Entstehung ich punktuell verwickelt war, so dass ich an dieser Brachialreimerei vielleicht sogar mitschuldig bin; jedenfalls aber Albert Schweitzers These, da Bach selber der Textdichter sei – mit Ausnahme eines einzigen Verses – nachdrücklich erhärten kann. Nachdrücklicher jedenfalls, als der berühmte Bachforscher selber, der als Indiz nur anzuführen weiß, dass «schon die Dialektfärbung den wirklichen Autor» verrate. Womit Schweitzer wohl auch die im Sächsischen noch heute zu beobachtende, in dieser Kantate aber besonders augenfällige Neigung meint, das salbungsvoll Barocke mit naiver Drastik zu würzen: «Blast die wohlgegriffnen Flöten, / dass Feind, Lilien, Mond erröten, (. )».
Es war am 5. Dezember des letzten Jahres. Ich sass in meiner Dachstube oberhalb des Goldenen Reiters, der als König August der Starke immer noch gen Polen reitend, längst zur Nachtwächter-Folklore Dünkeldresdens gehört. Den ganzen Tag nach Worten suchend, hatte ich nicht eins gefunden, das mir nicht peinlich war. Im Radiosender «Geen Dag zonder Bach» kam eine zarte Triosonate und löste meine Schreibkümmernis in Orgeldämmerung auf. Jedes Wort war längst geschrieben, ich hatte nur wieder danebengedichtet, insofern kam es auf mich gar nicht an. Da aber hakte die Orgelmusik. Ein bei solchen Dauersendern oft zu beobachtendes Phänomen: Der Techniker war Kaffeetrinken gegangen und merkte gar nicht, dass der Apparat immer dieselben Töne abspielte, als habe sich die Ewigkeit im Augenblick festgerannt. «Was ist das für ein teufliches Geplerr und Geleyer?» fragte Johann Sebastian Bach. Habe ich schon erwähnt, dass er neben meinem Stehpult stand? Dass Bach es war, war unzweifelhaft. Ich kannte ja das Bild von Hausmann, das kein anderer als Sir Eliot Gardener kürzlich persönlich nach Leipzig gebracht hat: «Wohl dir, du Volk der Linden, wohl dir, du hast es gut.» – Etwas schmaler und gehetzter kam Bach mir allerdings vor als auf Hausmanns Honoratiorengemälde. Die dem Fenster zugewandte, von Dämmerung halb verschattete Wangenpartie schien mir sogar von Verdruss gehöhlt. Erschreckend schwarz und leuchtend die Augen, was Bach etwas zusätzlich Feuriges, ja geradezu Italienisches gab. Fast ähnlicher noch als dem Bild von Hausmann sah Bach dem erst nach seinem Tod nach eben jenem Hausmann-Bild entstandenen Gemälde, das Forkel in seiner Biographie abdruckt. Und bis heute frage ich mich, wie ein erst nach dem Tod des Originals nach dem originalen Abbild entstandenes Abbild des Originals dem Original ähnlicher sein kann als das originale Abbild. Sollte man da nicht wenigstens sein Verhältnis zur Photographie überdenken? Und eventuelles Blitzlichtgewitter erst nach seinem Begräbnis gestatten?
Zusätzlich irritierend, dass Bachs Perücke schief sass. Dachte unwillkürlich an den Chorpräfekten Krause, dem er die Perücke gegen den Kopf warf. Ebenfalls wegen teuflischen Geplerrs und Geleyers. War ich etwa das nächste Opfer? Nur weil beim Sender «Geen Dag zonder Bach» der Techniker Kaffeetrinken gegangen war? Während die Technik tapfer versuchte, sich aus der Gegenwartsfalle zu befreien? Und doch aus Bachs umfangreichem Gesamtwerk nur immer dieselben drei Töne abspielte? Da aber brach der Rundfunk zusammen. Und während «Geen Dag zonder Bach» endlich schwieg, war ein Tag ohne Bach wieder denkbar geworden, ja vielleicht sogar eine Welt ohne Bach. Ein zugegeben seltsamer Gedanke für einen, neben dessen Stehpult der 5. Evangelist aufgetaucht war. Noch sonderbarer aber für mich, wie wenig mich das wunderte. Begriff in dem Moment einfach nicht, dass wir das Unbegreifliche, wenn es denn endlich einmal eintritt, immer für ein Begreifliches nehmen, um wenigstens nicht den Verstand zu verlieren. – Das Problem nur, dass ich trotz ähnlicher Dialektfärbung Bachs tatsächlich von Drastik gespicktes Umstandsbarock kaum verstand. Viel zu abgeflacht mein Sächsisch, mit seinem Ohrdruffisch mithalten zu können. Allzu weit kam wohl nicht einmal ich über das Sparkassenvokabular der Gegenwartsnicker hinaus. Dass dresdnerisch noch ursächsisch sei, gehörte auch zur Nachtwächterfolklore.
Unverkennbar allerdings, dass Bach Verdruss gehabt hatte. Ging offenbar um Picander, den Land- und Tranksteuereinnehmer. Über den Rest des Jahres verschwunden, hatte der Lumpe den Text nicht geliefert: Für die auf den Nachmittag des 8. Decembris im Zimmermannschen Caffe Hauss längst ausposaunte Geburtstagskantate zu Ehren des frischerwählten Augustus durchlauchtengebärerisches Ehegespons Königin Maria Josepha. – Seines unchristlichen Zorns Herr zu werden, hatte Bach sich auf den Orgelstuhl zu St.Thomas verfügt und unter Brausen davonphantasieret. Doch wieso, wenn er auf dem Orgelstuhl hockte, war er vom mannigfachen Gegeneinander der Sonnen und Monde, Planeten, Kometen umwandelt? Ach, was hätte ein Bachspezialist aus einer solchen Begegnung gemacht? War er etwa unter die Sterne geraten? Und hatte sich unter B–A–C–H da oben zu legitimieren versucht? Doch offenbar ging sein Geschrei aus der Tiefe in den eisigen Tiefen des Alls verloren. Nein, umgekehrt, in der Tiefe verstummend, setzte Bachs herrliches Orgelgeschrei sich im Fortgang der Sphärenmusik erst recht ins Vollkommene fort. Denn jede Note war längst aufgeschrieben. Und gar nicht denkbar ein Tag ohne Bach, geschweige denn eine Welt ohne Bach. Schon glaubte Bach, gleich bleiben zu können. Denn besser, bei Gott ein Basschlüssel zu sein als Dero Hoff-Capelle Praedicat zu besitzen. Doch Bach war ja noch als Cantore vocieret und musste im Krebsgang nach Leipzig zurück. Und hatte zuletzt per Triosonate via Vivace trotz Largo die Stadt der Linden doch empfindlich verfehlt.
«Wo bin ich?» fragte er.
«In der Residenz», sagte ich, beiläufig auf die im Fenster auftauchende Schönheitsanhäufung deutend. Auf Hof- und Frauenkirche – allabendlich angeleuchtet. Denn sie halten den Herrgott im Dunklen nicht aus.
«Ist er Hofpoet», fragte Bach.
«Na ja», sagte ich. Den Ministerpräsidenten von Sachsen habe ich einmal einen Taliban genannt. Nur wegen der üblichen Schönheitszerstörung. Die in Dresden allerdings mit Weltkulturerbezerstörung einherging. Und doch als die übliche Schönheitszerstörung gleich wieder aus der Wahrnehmung fiel. Nicht nur bei den Dünkeldresdnern, die sich ohnehin für Weltkulturerbe hielten. Ich aber war der, der Taliban gesagt hatte. Und lebe seither zu Dünkeldresden fast in stetem Verdruss, Neid, Verfolgung. – Nur wegen dieses Taliban.
«Das schläget nicht übel ein», sagte Bach. Der das Wort Taliban wohl für eine besondere Huldigung hielt. – «Schreibe er mir doch gleich die Kantate!» – Rasch müsse er nun davon, Schlag Neun der Alumni Kammern inspiciren. Käme alsobald aber zurück, sich mein Geschreibsel aufzuhucken. Nachts orgeln leider nicht geduldet, aber bis Dresden reiche gewiss das Cembalo. – Falle dem Zippelkopf gar nichts bei, rufe er erstlich die Pauken, Trompeten! Seine Wissenschaft sei es dann, die Reimerey vocaliter und instrumentaliter zu sublimieren, hörte ich den Meister noch rufen, doch da setzte «Geen Dag zonder Bach» wieder ein. Und spielte den Rest der Triosonate recht überstürzt, ja, holterdipolter.
Bedröppelt blieb ich in der Kammer zurück. Den ganzen Tag kein Wort gefunden und nun auch noch Fürstenlob abverlangt. Dabei galt dergleichen doch seit «Wilhelm Tell» und Friedrich Schiller als überwunden. – Was wusste ich denn überhaupt von dieser Maria Josepha? Ausgerechnet Bach, der kinderreichste Compositeur aller Zeiten, hatte sie als durchlauchtengebärerisch apostrophiert. Da war sie wohl die mit den vielen Xavern und Xaverianen, die in der Nachtwächterfolklore als «Schwiegermutter Europas» figurierte? – Ob eine Fügung wie: «Gebärmutter der Fürstenhöfe» – womöglich eine Arie ergab? Oder wenigstens ein Rezitativ? Nein, ging schon wieder in Talibanrichtung. So bekam Bach das Praedicat von Dero Hoff-Capelle nie. – «Schreibe er sich die Kantate doch selber», dachte ich über dem leeren Papier. – Nicht, dass es Fürstenlob gar nicht mehr gab. Im Gegenteil. Der Hut auf der Stange war heute ein weltweites Logo. Weltweit benickt, aus der Wahrnehmung fallend. Doch Fürstenlob im herkömmlichen Sinn gab es, abgesehen von Nachtwächterfolklore, nur noch im Familienkreis: Aufzählung sämtlicher Onkels und Tanten, die von wer weiss wo gekommen sind, um Onkel Balduin hoch leben zu lassen. Die sogenannten Casualcarmina; bei uns dafür meine Frau zuständig. Aber trotz Brachialreimerei hielten sie immer mich für den Dichter. Und Onkel Balduin legte mir sogar begütigend die Hand auf die Schulter: «Na siehst Du, mein Junge, es geht ja.» – Aber vielleicht ging es doch? Was für eine Möglichkeit sich, wenn schon nicht posthum, so doch vorgeburtlich zu verewigen? Auch Picander erwähnte man noch; nur weil er von Bach komponiert worden war… Studienhalber suchte ich sogar die Casualcarmina meiner Frau aus der Schublade hervor:
«Freut Euch, Ihr Sachsen, verbannet das Zetern!
Kommet per Pedes, per Flugzeug, auf Rädern!
Schwinget das Tanzbein, denn Tanzen macht schlank!
Balduin lebe, ja, lebe noch lang!»
Nach diesen Worten schwieg ich erschüttert. Unmöglich, in die Brachialfussstapfen meiner Frau zu treten. Blieb nur die Hoffnung, dass «Geen Dag zonder Bach» zufälligerweise gleich die besagte Kantate abspielte. Musste dann nur noch mitschreiben und den mitgeschriebenen Text Bach übergeben, als hätte ich ihn eben selber geschrieben. Auf dass er dann in seinem Jahrhundert noch rasch die Musik hinzufügte, die ich jetzt in meinem Jahrhundert allerdings schon gehört gehabt hätte. Doch horch: Bumm-bumm-bumm-bumm-bumm: Jauch-zet-froh-lo-cket! – Paukenschläge, Trompetenkonfetti! Schon wieder das Weihnachtsoratorium! Ausnahmsweise nicht Mitte August, sondern immerhin im Advent, den alle Welt auch für Weihnachten hielt. – Bumm-bumm-bumm-bumm-bumm: Ach, was hatte Bach mir zum Schluss noch zugerufen: Falle dem Zippelkopf gar nichts bei, rufe er erstlich die Pauken, Trompeten! Und wirklich im tänzerisch-daktylischen: «Jauchzet, frohlocket, auf, preiset, die Tage warf ich unwillkürlich etwas ebenfalls für tänzerisch gehaltenes hin:
«Haut auf die Pauken, auf, blast die Trompeten!»
Schrieb ich und strich das zum Glück wieder durch, um im Schaffensrausch darüberzuschreiben:
«Tönet, ihr Pauken, erschallet, Trompeten!»
Peinlich zwar, aber nicht allzupeinlich! Ein Vers pro Tag immerhin ein Ergebnis! Doch horch, mitten in der Weihnachtsmusik: unchristlich zorniges Cembaloflirren! Und hörbar die allzudeutlichen Worte: «Jetzo vergeht das Geduld mir. Zwei Stunden sind schon vergangen und es steht immer noch beym nehmlichen. Da mantsch ich mir lieber selbst was zusammen. So werden wir niemals Freunde…Adieu!» – Und während der Sender «Geen Dag zonder Bach» zusammenbrach, waren das Geburtstagsgedicht meiner Frau und auch mein Zettel vom Stehpult verschwunden.
Klar, dass ich gleich am nächsten Morgen die ehemals königliche Musikbibliothek betrat. Unterdessen fest damit rechnend, dass die Kantate für Maria Josepha, wenn sie denn überhaupt je existierte hatte, zu Bachs verschollenen Werken gehörte. Doch ohne weiteres konnte man mir mit der Partitur auch den hier aufbewahrten Originaldruck vorgelegen. Doch welches mit Glück gepaarte Entsetzen erfasste mich, als Kantate 214 tatsächlich mit meinen Worten begann. – Bach hatte mich vertont! Wiederholte den Satz wieder und wieder und bemerkte gar nicht gleich, dass auch die Lyrik meiner Frau Verwendung gefunden hatte. Nur dass aus «Balduin» «Königin» geworden war: «Königin lebe, ja, lebe noch lang». Und statt der oberpeinlichen Zeile: «Freut euch, ihr Sachsen, verbannet das Zetern!» – stand nun bei Bach der umwerfende Vers: «Blühet, ihr Linden in Sachsen, wie Zedern!». Selbst die eher familienphilosophisch gemeinten Räder meiner Frau waren ins Barock zurückgeführt worden, ja, hatten hier sogar an Historizität gewonnen. Denn mit den «Waffen» und «Wagen» im Text rollten im Jahr 1733 gewiss auch viele Räder gen Polen. – War doch der Wahl des Sachsen zum König im europäischen Mächtespiel ein Gegenkönig zuvorgekommen. Der polnische Erbfolgekrieg begann. Der jenen Krieg mit Preußen nach sich zog, von dem wir uns hier nie ganz erholt haben. Selbst Dünkeldresdens Nachtwächterfolklore kann als ein spätes Resultat fortwährender Zurücksetzung verstanden werden.
Erst am 7. Dezember, sprich: einen Tag vor der Aufführung, ist die Kantate fertig geworden. Und gewiss hat Bach sein Soli Deo Gloria selten mit größerer Erleichterung unter die Noten gesetzt als bei dieser Kantate, die er wegen akuten Poetenmangels größtenteils auch noch selbst dichten musste. Den Anfangschor mit den letztlich durch mich Musik gewordenen Pauken, Trompeten hat Bach dann bekanntlich ein Jahr später für das weihnachtliche «Jauchzet, frohlocket» wiederverwendet. Und ohne zu ahnen, dass der Vers von mir stammt, haben namhafte Bachforscher geltend gemacht, dass der prompt auf die Pauken, Trompeten antwortende, ursprüngliche Vers viel besser ins Weihnachtsoratorium passe, als Picanders «Jauchzet, frohlocket…» Und wie sich leicht überprüfen lässt, hat auch Johann Sebastian Bach meinem Vers anfangs den Vorzug gegeben. Indem er, anstatt «Jauchzet, frohlocket…» «Tönet ihr Pauken…» unter die Noten schrieb, ja, meine Worte im zweiten Durchgang ausdrücklich noch einmal wiederholte! Nun bin ich freilich kein Bachspezialist, doch mit Poeten kenne ich mich aus. Und gewiss war es Picander selber, der Bach schliesslich dahin gebracht hat, den Konkurrenz-Vers auszumerzen. Sprich: meine Worte durchzustreichen und seine Worte darüber zu setzen. Allerdings hat mancher Dirigent nach dem Studium der Partitur dann doch lieber mit meinen Worten begonnen. So dass ich hin und wieder sogar schon bis ins Weihnachtsoratorium vordrang. – Jedenfalls habe ich an jenem Dezembertag beim Verlassen der Musikbibliothek nicht «Jauchzet, frohlocket…», sondern «Tönet ihr Pauken…» gepfiffen.