Ach Gott, wie manches Herzeleid
BWV 058 // zum Sonntag nach Neujahr
für Sopran und Bass, Oboe I + II, Taille, Streicher und Basso continuo
Die vermutlich zum Sonntag nach Neujahr, dem 5. Januar 1727 entstandene Kantate ist uns lediglich in der bearbeiteten Fassung von 1733/34 erhalten, für die Bach die Rahmensätze um einen Oboenchor erweiterte, während er die zentrale Arie Nr. 3 tiefgreifend revidierte. Der unbekannte Textdichter hält sich an das Evangelium des Tages, den Bericht über die Flucht nach Ägypten (Matthäus 2, 13-23) und nimmt auch Bezug auf den Episteltext (1. Petrus 4, 12-19), in welchem vom Leiden in der Nachfolge Christi die Rede ist. Der Kantatentext ist als Dialog gestaltet und erscheint als Gespräch zwischen zwei glaubenden Seelen, in denen man unter Bezug auf die Geschichte vom Auszug nach Ägypten Maria und Joseph vernehmen kann.
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Werkeinführung
Reflexion
Orchester
Leitung
Rudolf Lutz
Violine
Plamena Nikitassova, Dorothee Mühleisen, Peter Barczi, Christine Baumann, Elisabeth Kohler, Eva Saladin
Viola
Katya Polin, Germán Echeverri, Sarah Krone
Violoncello
Maya Amrein, Mara Miribung
Violone
Markus Bernhard
Oboe
Kerstin Kramp, Thomas Meraner
Taille
Ingo Müller
Fagott
Susann Landert
Orgel
Nicola Cumer
Cembalo
Jörg Andreas Bötticher
Musikal. Leitung & Dirigent
Rudolf Lutz
Werkeinführung
Mitwirkende
Karl Graf, Rudolf Lutz
Reflexion
Referent
Arthur Godel
Aufnahme & Bearbeitung
Aufnahmedatum
23.01.2015
Aufnahmeort
Trogen
Tonmeister
Stefan Ritzenthaler
Regie
Meinrad Keel
Produktionsleitung
Johannes Widmer
Produktion
GALLUS MEDIA AG, Schweiz
Produzentin
J.S. Bach-Stiftung, St. Gallen, Schweiz
Textdichter
Textdichter Nr. 1
Martin Moller (1587) sowie unbekannter Verfasser
Textdichter Nr. 2-4
unbekannter Verfasser
Textdichter Nr. 5
Martin Behm (1610) sowie unbekannter Verfasser
Erste Aufführung
vermutlich am 5. Januar 1727
Text des Werks und musikalisch-theologische Anmerkungen
1. Choral (Sopran) und Arie (Bass)
Ach Gott, wie manches Herzeleid
Nur Geduld, Geduld, mein Herze,
begegnet mir zu dieser Zeit!
es ist eine böse Zeit!
Der schmale Weg ist Trübsals voll,
Doch der Gang zur Seligkeit
führt zur Freude nach dem Schmerze,
den ich zum Himmel wandern soll.
nur Geduld, Geduld, mein Herze,
es ist eine böse Zeit!
1. Choral und Arie
In die erste Strophe des Liedes «Ach Gott, wie manches Herzeleid» von Martin Moller aus dem Jahr 1587 fügte der unbekannte Dichter zwischen die Zeilen, welche über die Mühsal des Wandels «auf dem schmalen Weg» klagen, eigene Worte ein, die zum geduldigen Ausharren auffordern. Bach entwirft dafür eine sehnsüchtige Sarabanden-Musik voller wiegender Punktierungen, in die sich die von der Altoboe (Taille) verdoppelte Choralmelodie des Soprans sowie die energischen Interpolationen des Basses einfügen. Die chromatischen Abstiege des Basses heben den Lamento-Charakter des Textes und Satzes hervor.
2. Rezitativ (Bass)
Verfolgt dich gleich die arge Welt,
so hast du dennoch Gott zum Freunde,
der wider deine Feinde
dir stets den Rücken hält.
Und wenn der wütende Herodes
das Urteil eines schmähen Todes
gleich über unsern Heiland fällt,
so kommt ein Engel in der Nacht,
der lässet Joseph träumen,
daß er dem Würger soll entfliehen
und nach Ägypten ziehen.
Gott hat ein Wort, das dich vertrauend macht.
Er spricht: Wenn Berg und Hügel niedersinken,
wenn dich die Flut des Wassers will ertrinken,
so will ich dich doch nicht verlassen noch versäumen.
2. Rezitativ
Hier kommt beides zur Sprache: Der Traum Josephs mit der Weisung, vor dem «wütenden Herodes» nach Ägypten zu fliehen, und das Bibelwort, welches in Zeiten der Not eine ermutigende Kraft ist (z. B. Jesaja 40, 8 und 54, 10 und Hebräer 13, 5). Bach nutzt in den textbezogenen weiten Sprüngen den ganzen Ambitus der Baritonstimme aus.
3. Arie (Sopran)
Ich bin vergnügt in meinem Leiden,
denn Gott ist meine Zuversicht.
Ich habe sichern Brief und Siegel,
und dieses ist der feste Riegel,
den bricht die Hölle selber nicht;
ich habe sichern Brief und Siegel,
und dieses ist der feste Riegel,
den bricht auch selbst die Hölle nicht.
3. Arie
«Ich bin vergnügt» heisst ursprünglich «ich habe genug, bin ganz zufrieden». So kann sprechen, wer auch in schweren Zeiten seine Zuversicht auf Gott setzt. Das Bild vom «sichern Brief und Siegel» stammt aus dem zweiten Timotheusbrief 2, 19. Bachs d-Moll-Trioanlage beruht auf einem kantigen Continuobass, über dem Violine und Sopran in abgestufter Virtuosität miteinander wetteifern. Die im Text enthaltene Spannung zwischen «Leiden und Vergnügen in Gott» hat der Komponist in Gestalt einer aufwärts gesteigerte Wiederholung eingefangen, die zugleich eine Seufzerfigur enthält.
4. Rezitativ (Sopran)
Kann es die Welt nicht lassen,
mich zu verfolgen und zu hassen,
so weist mir Gottes Hand
ein andres Land.
Ach! könnt es heute noch geschehen,
daß ich mein Eden möchte sehen!
4. Rezitativ
«Die Welt» kann es nicht lassen, die Gläubigen zu verfolgen. Aber Gott lässt sie nicht im Stich. Er führt sie, wie damals Joseph und Maria nach Ägypten, am Ende in «ein anderes Land», ins paradies – eine Wendung, die durch den Wechsel ins Arioso besonders hervorgehoben wird. Die von den ausgehaltenen Liegetönen der Partitur abweichende «kurze» Notierung der Continuoakzente in Bachs eigenhändigen Stimmen gibt wichtige Hinweise auf die vom Komponisten gewünschte Ausführung des Rezitativs.
5. Choral (Sopran) und Arie (Bass)
Ich hab für mir ein schwere Reis,
vor
Nur getrost, getrost, ihr Herzen,
zu dir ins Himmels paradeis,
hier ist Angst, dort Herrlichkeit!
da ist mein rechtes Vaterland,
Und die Freude jener Zeit
überwieget alle Schmerzen.
daran du dein Blut hast gewandt.
Nur getrost, getrost,
hier ist Angst, dort Herrlichkeit!
5. Choral und Arie
Grundlage ist die zweite Strophe des Liedes «Herr Jesu Christ, meins Lebens Licht» von Martin Bohemus aus dem Jahr 1610. Sie spricht von der bevorstehenden «schweren Reis» durch diese Welt in die Ewigkeit. Wie in Satz 1 fügte der unbekannte Dichter zwischen die Zeilen seine Dichtung ein, mit der er auf die alles überwiegende Freude und Herrlichkeit hinweist, welche dort für die Reisenden bereit ist. Die dialogische Satzform und die Kopplung der Choralmelodie an die Altoboe binden den Schlusssatz deutlich an die eröffende Choral-Arie und rahmen die Kantate damit auch formal. Der konzertante Gestus und die Dreiklangsmelodik sorgen dabei für eine auf das Jenseits hin ausgerichtete Aufbruchstimmung.